Krieg und Frieden
Ein lesenswerter Artikel:
Christoph Hein: "Habe Sorge, dass dieser Verteidigungskrieg den Dritten Weltkrieg auslöst"
Am Abend des 3. April 2023 hielt der Schriftsteller Christoph Hein in der Staatskanzlei von Sachsen-Anhalt eine Rede zum Thema: "Was steht Deutschland und der Welt in den nächsten Jahrzehnten bevor?".
Auszug aus dieser Rede:
Werden wir in Mitteleuropa, in Deutschland nochmals einen Krieg haben?
Ich wurde im letzten Kriegsjahr geboren, habe also Kampfhandlungen, Bombardierungen und Kriegsbrände nicht bewusst wahrgenommen. Doch ich erlebte die Nachkriegszeit, und sie prägte mich. Ich sah die zerstörten Städte, die Ruinen, die aufgerissenen Straßen, die zerstörten Brücken. Ich sah die Kriegskrüppel, einige trugen noch immer das ihnen verliehene Eiserne Kreuz an der aus ehemaligen Wehrmachtsbeständen zusammengeflickten Jacke. Und sie bewegten sich auf selbstgebastelten Holzwägelchen mit Rädern, die keine luftgefüllten Reifen hatten, sondern Hartgummireifen, zusammengeheftet aus Teilen alter Autoreifen. Ich registrierte als Kind, wie heftig und leidenschaftlich die Erwachsenen den Krieg verdammten. "Die Hand, die zu einem Gewehr greift, soll verdorren." Das war damals – in Ost und West – eine häufig zu hörende Verfluchung. Doch bereits wenige Jahre später änderten die beiden deutschen Staaten ihre Haltung zu einer Wiederbewaffnung. (...) Auch meine Sorge ist, dass dieser von der Nato unterstützte Verteidigungskrieg den Dritten Weltkrieg auslöst. (...) Ja, die Ukraine führt einen gerechten Verteidigungskrieg, aber ich stimme Marcus Tullius Cicero zu, der hundert Jahre vor unserer Zeitrechnung schrieb: "Der ungerechteste Friede ist immer noch besser als der gerechteste Krieg." Meine einstige Gewissheit, dass Mitteleuropa, dass Deutschland nie wieder einen Krieg erleben werden, ist verschwunden. Auffällig ist mir, dass es die Älteren sind, die sich für einen Frieden einsetzen, Leute wie Jürgen Habermas oder Klaus von Dohnanyi oder wie die gerade verstorbene Antje Vollmer oder ich selbst. Es sind Personen, die in ihrer Kindheit den Krieg in Deutschland erlebten oder doch die unmittelbare Nachkriegszeit mit den Trümmerwüsten der Städte, die die abgerissenen, psychisch geschädigten Kriegsheimkehrer sahen und erleben mussten, dass noch Monate und Jahre nach Kriegsende Kinder umkamen, denen auf den Spielplätzen und in den Wäldern unversehens Waffen in die Hand gerieten oder die auf verborgene Minen traten. Vielleicht sind es diese Erlebnisse, die die Älteren zu einer anderen Haltung bewegt. Vielleicht nimmt eine lange Friedenszeit der nachgewachsenen Generation den Schrecken, und der Krieg erscheint dann nicht mehr als Leichenberg, als Trümmerstädte, als Hunger, Not und Tod. Der Krieg heißt dann wie einst "Stahlgewitter" oder "reinigendes Feuer" oder "Vater aller Dinge". (...)
Quelle: Berliner Zeitung
Die ganze Rede:
Wie sollen wir aus buddhistischer Sicht mit den aktuellen Ereignissen umgehen?
Zur Einstimmung:
Bitte nenne mich bei meinen wahren Namen: Gedicht von Thich Nhat Hanh
Sag nicht, dass ich morgen fortgehe -
denn ich komme heute doch erst an.
Betrachte es ganz tief:
Jede Sekunde komme ich an -
Sei es als Knospe an einem Frühlingszweig
oder als winziger Vogel mit noch zarten Flügeln,
der im neuen Nest erst singen lernt;
ich komme als Raupe im Herzen einer Blume
oder als Juwel, verborgen im Stein.
Ich komme stets gerade erst an,
um zu lachen und zu weinen,
mich zu fürchten und zu hoffen.
Der Schlag meines Herzens ist Geburt und Tod
von allem, was lebt.
Ich bin die Eintagsfliege, die an der Wasseroberfläche
des Flusses schlüpft.
Und ich bin auch der Vogel,
der herabstürzt, um sie zu schnappen.
Ich bin der Frosch, der vergnüglich
im kalten Wasser des Teiches schwimmt.
Und ich bin die Ringelnatter, die in der Stille
den Frosch verspeist.
Ich bin das Kind aus Uganda, nur Haut und Knochen,
mit Beinchen so dünn wie Bambusstöcke;
und ich bin der Waffenhändler,
der todbringende Waffen
nach Uganda verkauft.
Ich bin das zwölfjährige Mädchen,
Flüchtling in einem kleinen Boot,
das von Piraten vergewaltigt wurde
und nur noch den Tod im Ozean sucht;
und ich bin auch der Pirat -
mein Herz ist noch nicht fähig zu erkennen
und zu lieben.
Ich bin ein Mitglied des Politbüros
mit reichlich Macht in meinem Händen;
und ich bin der Mann, der seine "Blutschuld"
an sein Volk zu zahlen hat
und langsam in einem Arbeitslager stirbt.
Meine Freude ist wie der Frühling, so warm,
dass sie Blumen auf der ganzen Erde erblühen lässt.
Mein Schmerz ist wie der Tränenstrom,
so mächtig, dass er alle vier Meere auffüllt.
Bitte nenne mich bei meinen wahren Namen,
damit ich all mein Weinen und Lachen
zugleich hören kann,
damit ich sehe,
dass meine Freude und mein Schmerz eins sind.
Bitte nenne mich bei meinen wahren Namen,
damit ich erwache,
damit das Tor meines Herzens
von nun an offensteht -
das Tor des Mitgefühls.
Quelle: "Nenne mich bei meinen wahren Namen" - Ausgewählte Gedichte von Thich Nhat Hanh
Ein Beitrag zu diesem Thema von der buddhistischen Nonne und Dharmalehrerin Ani Karma Tsultrim:
Beiträge von weiteren buddhistischen Lehrenden zum Ukraine-Krieg:
Die fünf wunderbaren Richtlinien von Thich Nhat Hanh für eine friedvolle, harmonische Welt: